Gruppe Marxisten-Leninisten (Roter Morgen)

Länderbericht Niederlande

Über den Auf- und Abstieg des "Polder-Modells".

Die Niederlande sind ein friedliches Land, aber nur, wenn du innerhalb der Wohnung bleibst und fernsiehst und nicht auf die Straße gehst. Seit Beginn der 90er Jahre gab es massenhafte gewerkschaftliche Streiks in einem noch nie dagewesenen Ausmaß seit den 50er und 60er Jahren. Diese wachsende Bewegung wurde 1994 gestoppt, oder man hat versucht, das zu tun, indem man den Wunsch der Massen nach Veränderung auf die Wahlen lenkte.

Die holländische Bourgeoisie hat darauf abgezielt, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden - man nennt das eine Lila-Regierung -, um ihre soziale Basis zur Durchführung ihres Krisenprogramms zu erweitern. 1994 wurde diese Lila-Regierung an die Macht gebracht, weil nur diese Regierung diese Maßnahmen durchführen konnte, "ohne daß die Menschen alle Fensterscheiben zerschlagen". Das war nicht automatisch der Fall, denn die Streikbewegung setzte sich fort. Die reformistische Partei und die sogenannte liberale kapitalistische Partei haben sich auf ein Krisenprogramm geeinigt. Das war die Geschichte der "Arbeiterpartei" gegen eine kapitalistische Partei; die hat jetzt ein Ende, es funktioniert nicht mehr.

1995 war das Jahr, wo es die meisten Streiktage gab, und das Jahr mit den größten Gewerkschaftsdemonstrationen in der Geschichte der holländischen Arbeiterklasse. Entscheidend zur Durchsetzung des Krisenprogramms und für das relative Zurückgehen der Arbeiterbewegung nach 1994 war die Klassenzusammenarbeitspolitik, das holländische "Polder-Modell", das den Gewerkschaftsmitgliedern von der rechten reformistischen Gewerkschaftsbürokratie aufgezwungen wurde. Die andere Seite der Medaille ist, daß die meisten Streiks in den Niederlanden heutzutage selbständige Streiks sind, selbständig organisiert und durchgeführt.

Unserer Organisation selbst - jedenfalls da, wo wir arbeiten, wir sind noch eine kleine Organisation - war es in einigen Fällen möglich, eine führende Rolle in diesen Streiks einzunehmen. Die Geschichte ist ungefähr die gleiche wie in allen europäischen imperialistischen Ländern.

Ich muß die Ergebnisse dieses Krisenprogramms von 1994-98 erwähnen, da wir an erster Stelle in Europa sind. Im Ergebnis dieses Krisenprogramms gibt es 1,5 von 6 Millionen Menschen, die keine oder nur sehr wenig Arbeit haben. 40 % der Arbeiter haben "flexible" Arbeitsplätze. 2,6 Millionen haben nur Teilzeitarbeit, und feste Arbeitsplätze werden ersetzt durch Arbeiter, die mit sozialen Abgaben vom Staat finanziert werden. Es gibt viele Menschen, die von Sozialhilfe leben, und es gibt fast 1 Million Menschen, die unter dem Existenzminimum leben. Die Statistik zeigt, daß die Niederlande ein großartiges Land sind, aber die Arbeitenden und Arbeitslosen nehmen an diesem Reichtum nicht teil.

Diese Klassenzusammenarbeitspolitik oder "Polder-Modell" gab es von 1994 bis 1998. Letztes Jahr gab es neue Wahlen, es kam die gleiche Regierung wieder an die Macht. Sie hat den EURO eingeführt, das war ihre Aufgabe, und sie mußte zusehen, daß die Niederlande sich entsprechend den Maastricht-Verträgen verhielt. Aber die Arroganz, die diese Regierung und andere Teile der Bourgeoisie in den Jahren von 94-98 an den Tag gelegt haben, diese Arroganz ist verschwunden, als die Auswirkungen der sich entwickelnden weltweiten ökonomischen Krise auch ihre Auswirkungen auf die Niederlande zeigten. Sie haben Angst. Und diese Angst um die Zukunft kommt in einer zunehmenden Unfähigkeit der Regierung zum Ausdruck, und in viel mehr Situationen, wo sich eine Krise zu entwickeln droht, in einer zunehmenden Labilität der Regierung.

Zum Beispiel gibt es zur Zeit eine parlamentarische Anhörung über den Absturz eines israelischen Flugzeugs in Amsterdam. Diese dient dazu, die Hintergründe zu vertuschen. Aber weil sie im Fernsehen stattfindet - seit zwei Monaten läuft sie da - sehen die Menschen auf der einen Seite das Vertuschen und auf der anderen Seite diese Arroganz der führenden Politiker und Bürokraten. Sie sehen die Gleichgültigkeit gegenüber den Sorgen der einfachen Massen. Deshalb ist es notwendig, daß diese Politiker und Regierungsmitglieder versuchen, eine Bewegung aufzubauen, um das Vertrauen in die Regierung zu rehabilitieren. Gleichzeitig kann man jeden Tag im Fernsehen und im Radio und von den Menschen, mit denen wir sprechen, hören, daß das Vertrauen in alles Offizielle in den Niederlanden völlig verschwunden ist.

Wie ich schon sagte, in den meisten dieser selbständigen Streiks - und die meisten Streiks sind selbständig geführt - und in einigen dieser Streiks, wo wir auch gearbeitet haben, konnten wir diese organisieren und viele führen. Wir haben festgestellt, wie unsere Organisation bisher funktioniert und versucht sich zu entwickeln. Das entspricht nicht den Aufgaben, die vor uns stehen. In diesem Jahr gibt es auch große Massenbewegungen der Lehrer, im Gesundheitsbereich; es gibt eine Tarifbewegung und Aktionen durch eine Gruppe von Metallarbeitern. Unsere Genossen haben gemerkt, daß die Verpflichtungen, die wir haben, im Moment größer sind, als wir sie erfüllen können.

Wenn es Gewerkschaftstreffen gibt, kommen die Gewerkschaftsmitglieder zu unseren Genossen und fragen, wie sollen wir uns jetzt weiter verhalten, sollen wir weitergehen, wie sollen wir uns verhalten. Bei unserem Generaltreffen, das wir im letzten Jahr durchgeführt haben, haben wir über die Entwicklung unserer Arbeit in den Niederlanden gesprochen. Und wir sind zu dem Schluß gekommen, daß es nicht ausreicht, ein politisches Programm zu haben und Aktionen zu organisieren und dann zu erwarten, daß die Menschen sich organisieren, und daß ständig unser Einfluß und die Anzahl unserer Mitglieder wächst. Aber es ist notwendig, dieses Programm bewußt anzuwenden. Daß es notwendig ist, unsere Organisation aufzubauen, auf bewußte Art und Weise dieses Wachstum zu planen, uns Ziele zu setzen, die wir erreichen müssen, und uns so zu verändern, von der Methode, nur zu reagieren auf die Entwicklung, so gut wir es können, zu einer anderen Art zu arbeiten und solche Entwicklungen vorausschauend zu erkennen und uns so gut wie möglich zu organisieren und unsere Aufgaben so zu stellen, um diese Aufgaben auch zu bewältigen. Dafür haben wir verschiedene Veränderungen in die Wege geleitet, aber darüber können wir später sprechen. Wir sind aber der Meinung, daß wir mit der Erfahrung, die wir bisher gemacht haben, und auch wie es sich mit dem Kampf des Volkes in den Niederlanden verhält, daß wir in den nächsten Jahren den notwendigen Schritt machen können von einer Gruppe zu einer Organisation für den Parteiaufbau, die die Grundlagen legt für die Gründung einer echten revolutionären Partei in den Niederlanden.